Art Deco Meisterstücke der Brüder Walter und Marcell Goldscheider
Walter und Marcell Goldscheider
Wien, Österreich
Nach dem Tod ihrer Mutter führen Walter und Marcell ab 1920 gemeinsam das Unternehmen. Walter ist für die kaufmännische Seite verantwortlich, Marcel übernimmt die künstlerische und technische Leitung. Im Jahr 1921 wird die Firma offiziell in „Wiener Manufaktur Friedrich Goldscheider“ umbenannt. Die Firmenbezeichnung geht nun endgültig in die neue Firmenmarke ein, die unterhalb des Schriftzugs „Goldscheider“ das Monogram GWM zeigt. Die Buchstaben „W“ und „M“ stehen für „Wiener Manufaktur“, das „G“ für „Goldscheider“.
Anfang der zwanziger Jahre entstehen bei Goldscheider, wie bei Rosenthal oder Hertwig, die beliebten Putten mit Tieren. Man greift aber auch auf Entwürfe aus den 1910er Jahren zurück. Es werden weiterhin Figuren von Mädchen und Kindern in Biedermeiertracht produziert, genauso wie zahlreiche Tiermodelle.
Aber auch die von den Brüdern wieder verstärkt eingesetzten Bronzen werden ins Programm genommen und von der Kritik wohlwollend beurteilt. Trotz der seriellen Produktion gilt bei Goldscheider seit jeher der hohe Anspruch, den individuellen, schöpferischen Charakter eines Kunstwerks zu erhalten. Künstlerisch sieht man sich in Konkurrenz zur Wiener Werkstätte und anderen auf Originalwerke bzw. Unikate spezialisierte Ateliers. Während viele dieser Ateliers in eine wirtschaftliche Krise steuern, kann sich die Wiener Manufaktur Friedrich Goldscheider mit künstlerisch anspruchsvollen und dennoch wirtschaftlich reproduzierbaren Modellen erfolgreich am Weltmarkt durchsetzen.
Marcell verfeinert die Methode der Unterglasur-Dekoration. Mit diesem neuen Dekorationsstil, der durch den Einsatz einer Spritztechnik mit Aerographen erfolgt, hebt sich die Goldscheider Manufaktur erfolgreich von der Konkurrenz ab, die diese Technik bei Weitem nicht so gut beherrscht. Die so hergestellten Objekte erscheinen besonders ästhetisch und in ihrer Form den Zeitgeist treffend. Diese Harmonie aus künstlerischem Modell, Ausarbeitung und Dekoration stärkt den weltweiten Erfolg der Goldscheider Manufaktur und manifestiert den Begriff „Wiener Fayence“ mit Goldscheider Erzeugnissen.
Dank dieses Verfahrens entsteht auch eines der imposantesten Fayence-Modelle der Goldscheider Manufaktur: der „Gefangene Vogel“ nach einem Modell von Josef Lorenzl. Diese Darstellung der Tänzerin Niddy Impekoven zeigt eine brillante und farbenfrohe Dekoration in den unterschiedlichsten Variationen.
Ende 1923 finden auch andere Figuren in Fayence und Bronze beachtlichen Anklang bei der Fachpresse: „Die Wiener Manufaktur Friedrich Goldscheider, Wien, deren Ruf und Bedeutung in aller Welt feststeht, bringt wieder einige trefflich gelungene Figuren in Fayence und Bronze, die in ihren Schrittstellungen, im ganzen Zauber des Mienenspiels, im Wurf und in der Farbe der Kostüme, den ganzen Reiz des echt Wienerischen bestrickend zum Ausdruck bringt.“ (In Kunst und Kunstgewerbe, 1923) Auch auf der legendären Pariser Kunstgewerbeausstellung „L’Exposition Internationale des Arts Décoratifs et Industriels Modernes“ im Jahr 1925 ist die Wiener Manufaktur vertreten, unter anderem mit der Fayencegruppe „Kahnfahrt“ von Hertha Bucher, Lampenfüßen, Vasen und Leuchtern von Dina Kuhn, exotisch anmutenden Figuren in bemaltem roten Ton nach Entwürfen von Spuller, Studienköpfen in Terrakotta von Grete Neuwalder, Tierplastiken von Karin Jarl und schwarz glasierten Amorettengruppen von Herlinger-Schwarz. Aber auch eine liegende weibliche Figur aus Marmor von Ena Rottenberg und ein vom Architekten Josef Berger entworfener Kamin werden von Goldscheider präsentiert.
Dina Kuhn’s Modelle aus roter und bunter Majolika werden auch auf der Leipziger Messe ausgestellt, wo ansonsten Willy Bormann’s „Englischer Greyhound“ aufgrund seiner Geschmeidigkeit und Eleganz, Lorenzl’s farbenfrohe „Aida“ aber vor allem die von Karl Perl entworfene Gruppe „Die sieben Schwaben“ wegen ihrer Komposition und Komik, als besonders gelungen auffallen. Diese Figur wird von Prof. Konrad Meyer auch als entscheidender Beweis für die damalige Debatte zur Vorrangigkeit des künstlerischen Schaffens vor dem materiellen Wert eines Arbeitsstoffes genannt, mit dem Resultat, dass man Fayence und Porzellan als „gleichwertig für künstlerische Bearbeitungsmöglichkeiten ansehen“ sollte. Während Porzellan transparenter und dezenter wirkt, hat Fayence aufgrund der niedrigeren Brenntemperatur den Vorteil, dass sie lebendigere, kräftigere Farbtöne aufnehmen kann, und deshalb beide „ihren Platz“ in einem Heim nebeneinander beanspruchen können.
Die kühl-elegante Linienführung der „Neuen Sachlichkeit“, später des Art Déco, bestimmt die Stilrichtung; eine Vielzahl an eingesetzten Materialien kennzeichnet die Produktion. Die Wiener Manufaktur verkauft Kunstgegenstände in Fayence, Marmor, Bronze und Terrakotta, aber auch Kaminverkleidungen und Objekte aus Kunststein gehören zum Sortiment. Passend zu den nun extrem schlanken Proportionen, werden die Figuren auch in kleineren Größen produziert.
Zwischen den Brüdern kommt es jedoch verstärkt zu Auseinandersetzungen über die Ausrichtung des Unternehmens. Während Marcell, der eine kunstkeramische Ausbildung genoss, den Künstler viel stärker in den Produktionsprozess einbeziehen will und mit expressiverer Keramik nicht einfach nur dem Marktgeschmack folgen will, steht für Walter, der eine kaufmännische Ausbildung absolvierte, der wirtschaftliche Erfolg im Vordergrund. Und dieser ist nur durch eine Befriedigung des Konsumentengeschmacks und einer seriellen Reproduzierbarkeit der Modelle möglich. Da es zwischen den Brüdern zu keinem Kompromiss kommt, beschließt man sich zu trennen.
Eine der glanzvollsten Zeiten der Wiener Manufaktur Friedrich Goldscheider, die in diesen wenigen Jahren einige der Meisterstücke der Art Déco Keramik hervorgebracht hat, geht zu Ende.