Die Arisierung der Wiener Manufaktur Friedrich Goldscheider
Friedrich Goldscheider
Wien, Österreich
Die Wiener Manufaktur Friedrich Goldscheider erfährt einen jähen Abbruch ihres Erfolgs mit dem „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich. Nach dem im März 1938 erfolgten Einmarsch deutscher Truppen sieht sich die assimilierte jüdische Familie antisemitischen Übergriffen ausgesetzt. Die Arisierung des Betriebes wird angeordnet und am 5. Mai 1938 wird dem Betrieb Dr. Stefan Schwartz als kommissarischer Verwalter zugewiesen.
Nach mehreren Wochen in Haft muss sich Walter Goldscheider am 30. August 1938 in einem offiziellen Dokument an die Vermögensverkehrsstelle bereit erklären, sein Unternehmen komplett samt aller Aktiva und Passiva an einen „nichtjüdischen Kaufwerber“ zu übertragen.
Es gibt mehrere Kandidaten, die sich bei der Vermögensverkehrsstelle im Rahmen der Arisierung um die Übernahme der Goldscheider Manufaktur bewerben. Der Leiter der Wiener Porzellanfabrik Augarten, Theodor Ludwig Kraus bewirbt sich persönlich bei Dr. Leitich von der Vermögensverkehrsstelle um den Posten eines Geschäftsführers. Für ihn setzen sich nicht nur die Barone Theodor und Gisbert von Liebig ein, auch der Kommerzialrat Stefan Rath von der Firma Lobmeyr, Ing. Siegfried Dietl als Prokurist der Generali und Rudolf Pfeiffer als Direktor der Creditanstalt unterstützen ihn.
Fachlich wäre die Bewerbung des Bildhauers Walter Bosse bevorzugt einzustufen, der bereits jahrelang für Walter Goldscheider gearbeitet hat. Aus einer Notiz von Dr. Arthur Mayer, dem Rechtsanwalt Walter Goldscheiders, geht hervor, dass Bosse bereits am 5. August 1938 Interesse an der Arisierung der Goldscheider Manufaktur geäußert hat.
Zur gleichen Zeit meldet sich ein neuer Interessent bei der Kontrollbank. Josef Schuster aus München bekundet bei der Österreichischen Kontrollbank sein Interesse an der Arisierung der Wiener Manufaktur Friedrich Goldscheider. Er schreibt, dass er in den vergangenen Tagen den Betrieb persönlich besichtigt hätte. Über sich selbst schreibt Schuster selbstbewusst: „Ich bin arisch, politisch einwandfrei und verfüge über eigenes Vermögen. 1928 habe ich einen hochkünstlerischen Betrieb (grösseres Kunstgewerbehaus mit 5 Schaufenstern) gegründet und 10 Jahre lang mit grossem Erfolg geleitet. Ich gehöre der Reichskunstkammer (Reichskulturkammer) sowie der Reichsschriftumskammer an. Politisch bin ich verdient.“ Im Bewerberblatt-Formular gibt er als frühere Adresse München an und als jetzige Adresse bereits die Adresse der Goldscheider Manufaktur an. Die meisten Fragen auf dem Bewerberblatt, zum Beispiel nach finanziellen Grundlagen und sein Angebot lässt er unausgefüllt.
Walter Bosse weist darauf hin, dass er Josef Schuster auf die Arisierung von Goldscheider aufmerksam gemacht hat und dass sie ursprünglich gemeinsam das Unternehmen übernehmen wollten. Schuster hätte dann jedoch hinter seinem Rücken allein das Unternehmen erwerben wollen, um Bosse „auszuschalten“. Bosse weist auch spitzzüngig darauf hin, dass die von der Kontrollbank gelieferten Zahlen, nicht als „stichhaltig“ angesehen werden können und dass „vom nationalsozialistischen Gesichtspunkt betrachtet, die gegenwärtige Verhandlung recht eigenartig“ anmutet, „wo doch eigentlich berufene Fachleute eingesetzt und Branchenfremde ausgeschaltet werden sollen.“ Diese Anmerkungen führen zu einer mehrmals wiederholten Randnotiz des bearbeitenden Beamten bei der Kontrollbank: „Frechheit“.
Am 10. November 1938 beschließt der Beirat der Vermögensverkehrsstelle, vermutlich einerseits durch Bosses undiplomatische Formulierungen, Finanzschwäche und den wenige Jahre zurückliegenden Konkurs sowie andererseits durch Schusters parteitreuer Gesinnung und angeblich vorhandenem Eigenkapitel bedingt, dass „die Unternehmung Wiener Manufaktur Friedrich Goldscheider von der Kontrollbank an die Bewerber, Eheleute Schuster, zu verkaufen ist.“
Am 14. Dezember 1938 werden letztendlich die Verträge unterschrieben. Es wird festgehalten, dass der Vertrag wegen Verletzung über die Höhe des wahren Wertes nicht anzufechten sei und dass die Bank berechtigt ist, alle Rechte und Ansprüche aus diesem Vertrag an Josef Schuster zu übertragen. Am gleichen Tag erfolgt die Übertragung an das Ehepaar Schuster.
Walter und seine Frau Lilly erhalten Anfang 1939 die Ausreisebewilligung nach England, wo sie sich kurze Zeit bei Freunden aufhalten und dann in die USA emigrieren. Walter Goldscheider beschreibt später im Exil die Arisierung wie folgt: „Nach meiner Entlassung aus dem Gefängnisse wurde ich 1938 zum „Verkauf“ meines Unternehmens mit allen Aktiven, Fabrikshäusern, Marke, Namen, Formen, Modellen etc. gegen einen seitens der bei dieser Transaktion tätigen Bank bestimmten Pauschalbetrag von RM 50.000,- gezwungen. Von dieser Summe wurde mir tatsächlich nach Abzug der Einkommens-, Reichsflucht-, Juden- und Passsteuer ein Restbetrag von RM 6.000,- zur Deckung meiner Fahrt, Schiffskarte, Gepäck ausgehändigt, und ein mitzunehmender Betrag von je RM 10.000,- für mich und meine Gattin.“ Dies sind nicht mal zwei Prozent des Umsatzes von 1937 gewesen..
Schuster produziert zwischen 1939 und 1945 in etwa 360 eigene Entwürfe, den Rest der Produktion machen bestehende Modelle der Manufaktur aus, die sich ab 1942 „Wiener Manufaktur Josef Schuster“ nennt.