495 496 Marcel Goldscheider George Formby Myott Uk
40er & 50er Jahre
Myott und Art Pottery in Staffordshire
Marcell Goldscheider
Staffordshire, England
Marcell und Rosemarie Goldscheider beschließen nach England zu emigrieren und verlassen Anfang 1939, gemeinsam mit Tochter Inge, Österreich. In den Manufakturen in Staffordshire, die Marcel aus seiner Ausbildungszeit kennt, sehen sie die Möglichkeit, weiterhin auf hohem Niveau keramische Modelle produzieren zu können.
In der Manufaktur Myott, Son & Co. findet Marcell 1940 Unterstützung. Die Brüder Myott stellen ihm für eine eigenständige Modelllinie Produktionsräume auf ihrem Fabrikgelände, den Alexander Potteries in Hanley, einem Vorort von Stoke-on-Trent, zur Verfügung. Die Modellpalette besteht im Jahr 1941 aus Figuren, Tierskulpturen, Lampen, Wandmasken und Dekorationsobjekten für Ess- und Schreibtische. Alle hergestellten Objekte sind für den Export bestimmt, die figürliche Keramik insbesondere für den amerikanischen Markt. Unter den Wandmasken befinden sich einige aus Österreich stammende Modelle im Stil Rudolf Knörleins, sowie beispielsweise eine neue Wandmaske von Winston Churchill. Auch Kerzenleuchter und eine Zigarettenbox mit dem Relief eines Frauengesichts sind im Sortiment. Ende 1942 umfasst das Sortiment bereits 300 Modelle und über 600 Muster. Die Figuren sind aus dem Bereich der Groteske, Geschichte und Religion und werden sowohl in farbreicher Dekoration verkauft wie auch in weiß, matt oder hellen Farben, um ein preiswerteres Segment abzudecken.
Nach wenigen Jahren ist Marcels Arbeit sowohl in Nord- und Südamerika wie auch auf dem britischen Markt angesehen und wie die Pottery Gazette im Januar 1945 schreibt, sind die Figuren von „großartiger technischer Kühnheit“. Ein Set von Figuren unter dem Namen „Cries of Old London“ zeigt beispielsweise verschiedene Damen bei diversen Tätigkeiten in der Kleidung des Viktorianismus, die in einer neuen Colorierungstechnik entstanden sind. Andere Modelle zeigen prominente, meist historische Persönlichkeiten, Vasen mit erhaben herausgearbeiteten Reliefs, Schüsseln für Früchte oder Salate sowie Krüge und Tassen – alle Hand bemalt.
Viele der bei Marcel beschäftigten Facharbeiter kommen von der Stoke-on-Trent Art School und werden von ihm im Bereich der Modellierung, der Abformtechniken und Dekorierung weiter gebildet. Auch in England verfolgt Marcel das Ziel, die schöpferische Individualität des Künstlers mit einem umfassenden, fachmännischen Wissen der Herstellung zu verbinden und den Künstler in die vielfältigen Produktionsstufen einzubeziehen.
Im Jahr 1949 umfasst das Sortiment 750 Modelle und Marcel stellt neben der seit längerem besuchten British Industry Fair (B.I.F.) auch auf der Messe in Kopenhagen aus. Außer der Produktion bei Myott entwirft Marcel in dieser Zeit auch selbst Modelle, die in seinem privaten Studio in Newcastle entstehen.
Am 24. August 1949 wird die Myott Fabrik von einem Feuer zerstört. Beim Wiederaufbau der Fabrik beschließen die Myott Besitzer, dass der Bereich der figurativen und künstlerischen Keramik nicht fortgesetzt werden soll und man sich nur noch auf die Produktion der weltweit populären Geschirrservices von Myott konzentrieren will.
Goldscheider Art Pottery in Hanley, Stoke-On-Trent
Im September 1950 wird daher in der englischen Fachzeitschrift „The Pottery and Glass Trade Review“ bekannt gegeben, dass Marcel Goldscheider nach zehnjähriger Zusammenarbeit von nun an allein die Produktion in seinem Studio in Newcastle bestreitet. Ab Dezember 1950 bezieht Marcel neue Räumlichkeiten in Hanley, Stoke-On-Trent.
Marcel, dessen Firma „Goldscheider Art Pottery“ heißt, macht auch mit einer neuen Modellreihe auf sich aufmerksam. Berühmte Gebäude wie die „St. Paul’s Cathedral“, „Windsor Castle“, „Tower of London“ und „Tower Bridge“ sowie der von Charles Dickens beschriebene „Old Curiosity Shop“ sollen im Rahmen von Festlichkeiten oder allgemein als Souvenirs verkauft werden. Marcel weist darauf hin, dass diese Objekte nicht nur dekorativ, sondern auch „nützlich“ seien, da sie teilweise als Tabakdosen, Fruchtbehälter oder Schmuckkästchen eingesetzt werden können. Nach Geschichten von Charles Dickens entstehen auch mehrere Figuren.
Im Juni 1953 wird eine Umfirmierung bekannt gegeben und die Firma als Goldscheider (Staffordshire) Pottery, Ltd. registriert. Marcel exportiert seine „earthenware“ und „bone china“ Modelle weltweit und stellt in Schauräumen in London, Stockholm, Wellington, Montevideo, Paris, Toronto und Sydney aus. In Paris sind die Schauräume in der Rue de Paradis, der Straße, in der seine Familie jahrzehntelang mit einer Bronzefabrik ansässig war. Ihn vertretende Agenten sind auch in Hong Kong, Venezuela oder Kuba zu finden, wo er von Ernesto Samson vertreten wird, der schon vor dem Krieg sowohl die Modelle für Marcel wie auch Walter repräsentiert hat.
Mitte der 50er Jahre ist die keramische Industrie in einer Krise. Billige Kopien aus Japan und anderen Ländern erobern den Markt, die Exportumsätze gehen zurück und auch die Erzeugnisse aus Plastik werden als Bedrohung betrachtet. Der Markt wird als stagnierend bezeichnet, wegen der erhöhten Steuern leidet vor allem der Absatz von Bone China Figuren. Die Teilnahme auf Messen reduziert Marcel in dieser schwierigen Zeit wahrscheinlich auch altersbedingt, denn mit fast 70 Jahren ist er des Reisens zu müde. Marcel Goldscheider stirbt am 23. April 1964 in Worthing (Sussex), an der Südküste Englands.